10.09.2020

Wie klingt Einsamkeit?

Die Pandemie schwemmt viele Themen nach oben, die vorher im Verborgenen lagen. Einsamkeit ist eines davon. Unsere gemeinschaftliche Erfahrung, ins Homeoffice verbannt zu sein, auf uns allein gestellt mit Überforderung und Ängsten. Die Ambivalenz des Virtuellen – online verbunden und sich doch nicht wirklich wahrzunehmen. Oder im ganz anderen Kontext: Allein ins Krankenhaus zu kommen und nicht zu wissen, was einen hinter der Schleuse erwartet… 

Doch Einsamsein ist nicht nur jetzt. 

Bei der gestrigen Frühstücks-Philosopherei teilten vier Frauen ihre Sicht auf die Einsamkeit, auf dieses Thema, das uns so berührt, weil wir alle es kennen. Es ist ein Gefühl, dem viele auch schon vor diesem Ausnahmejahr begegneten.Das Empfinden, nicht verbunden oder zugehörig zu sein, nicht verstanden zu werden, und keine Nähe zu den Menschen um einen herum zu spüren. Nicht in Resonanz zu sein mit der Welt, um es in Hartmut RosasWorten zu sagen. Dabei ist es egal, ob ich tatsächlich allein oder umringt von Menschen bin. „Am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.“ soll Erich Kästner gesagt haben.

Doch was bedeutet es, einsam zu sein? Wann wird Einsamkeit zum Problem? Vielleicht dann, wenn ich sie nicht freiwillig gewählt und weder Vertrauen noch Hoffnung habe, dass ich bald wieder Verbundenheit spüren werde. Wenn ich mich immer tiefer in diese Ausweglosigkeit begebe, wenn ich die Menschen um mich immer kritischer bewerte, Begegnungen scheue, Scham verspüre, weil da keiner ist, der zu mir steht. Aus einzelnen Einsamkeitsmomenten wird schlimmstenfalls ein Dauerzustand, der sich negativ auf meine körperliche und psychische Gesundheit auswirkt.2 

Was ist das Gegenteil von Einsamkeit?

In unserer gestrigen Runde sprachen wir über frühkindliche Prägung (haben wir ein Urvertrauen in uns selbst und die Welt entwickeln können?), über Resilienz – unsere Widerstandsfähigkeit – und Selbstvertrauen, aber auch über die Bereitschaft unserer Umgebung, uns als Individuen wahr- und anzunehmen, so wie wir sind. All das hilft uns, uns auf die Welt einzulassen, nicht an ihr klammern zu müssen, und auch allein sein zu können.

Vielsamkeit. Geborgenheit. Teil von etwas zu sein. Das sind wundervolle Zustände. Und dann gibt es da eben auch das Alleinsein, das uns Weite schenkt. Unbegrenzt, da unbewertet, im kreativen Flow schafft dieser einsame Rückzugsraum unendliche Möglichkeiten.

„Nichts kann ohne Einsamkeit vollendet werden.“ – Pablo Picasso

Als Solistin im Ensemble

Wir alle können Geschenke machen. Ich sehe Dich, nehme Dich wahr, lächle Dir zu. Du bist nicht allein! – Sich Zeit nehmen, um hinzugucken; das Konkurrenzdenken mal beiseite schieben; die Andersartigkeit meines Gegenübers anerkennen. Unser ständiger Zeit- und Leistungsdruck verengt den Blick für die wunderbare Vielfalt von uns Menschen. Dabei könnten wir, wenn wir selber den Mut dazu fassten und das Vertrauen dazu schenkten, verbunden sein in unserer Einzigartigkeit. Wie eine Solistin im Orchesterensemble, für einen Moment allein, bevor sie wieder Teil des großen Ganzen wird.

Wie klingt Einsamkeit?

Hartmut Rosa plädiert für Offenheit, Spontanität, dafür, nicht alles im Griff haben und erzwingen zu wollen, sondern uns von der Welt berühren zu lassen.2 Sie zu spüren mit allen Sinnen. Sich dem Leben hinzugeben und wieder hören zu können… Das Melancholische in Moll. Das Zuversichtliche in Dur. Die Stille.4 

Wie klingt sie für Euch?


Danke an Euch wunderbare Gäste für das innige Gespräch!
Und danke an Dich, lieber Michael Nickel, für die wunderschöne Musik zu Beginn der heutigen Philosopherei.
Musik, die berührt.



Ein paar ergänzende Links & Quellenangaben: