11.05.2020

Ein Plädoyer für unsere Emotion

Unkontrolliert bahnen sie sich ihren Weg an die Oberfläche meine Emotionen, getriggert durch Reize von außen oder Gedanken in meinem Kopf. Sie äußern sich in Gefühlen, die für mein Umfeld wie auch für mich selbst unmittelbar sicht- und wahrnehmbar werden. Mal geht das gut, mal...

BÄHM!

Emotionen haben (mittlerweile) einen hohen Stellenwert im Business. Dies ist in dem einen oder anderen Artikel im „Manager Magazin“ und anderen Wirtschaftsblättern zu lesen. Sie würden uns dabei helfen, schneller Ereignisse einschätzen und Handlungsoptionen entwickeln zu können; schneller als dies mit bewussten Gedankengängen möglich wäre. Ohne den Zugang zu unseren Emotionen wären wir nur ein halber Mensch… und eine schlechte Führungskraft. Das Gefühl gibt den (dringenden) Anstoß dazu, uns bewusster mit einer Sachlage auseinanderzusetzen. „Ich habe das Gefühl, dass…“ – wir sind dabei, etwas zu verstehen, was wir noch nicht verstanden haben. Der Verstand sorgt dann für die Analyse. Die Kombination aus beidem – erst Gefühl, dann Verstand – als Basis für eine solide Entscheidung.1&2 

Die Theorie der Emotionen

Was verbirgt sich konkret hinter dem Begriff der Emotion? Die Wissenschaft hat, und das empfinde ich bei meinem eigenen Tapsen im Nebel fast als tröstlich, noch kein ganz klares Bild. Es gebe „weder eine einheitliche Theorie noch eine interdisziplinär akzeptierte Definition von Emotionen.“ Es sei ein „regelrechter Wildwuchs von Theorievorschlägen“.3

Ein Versuch (bitte durchhalten): „Die Emotion ist ein komplexes Muster aus physiologischen Reaktionen (z.B. Steigerung des Blutdrucks), Gefühlen (z.B. Liebe, Wut), kognitiven Prozessen (Interpretation, Erinnerung und Erwartung einer Person) sowie Verhaltensreaktionen (z.B. lachen, weinen).“ 4 Dabei wird unterschieden zwischen dem „primären Emotionssystem“, das auf angeborenen Grundemotionen basiert (wie Wut, Furcht, Ekel, Freude…), und dem „sekundären oder kognitiv-affektiven Emotionssystem“, das auf der Verknüpfung beruht von diesen Grundemotionen mit spezifischen, im Kontext der jeweiligen Kultur gelernten Informationen.3 Emotionen wären nach dieser Definition sowohl ein angeborener Prozess als auch etwas, das in der Art, wie es sich zeigt, soziokulturell geprägt ist. Wobei gerade über diesen letzten Punkt viel gestritten wird: Sind Emotionen universell oder kulturspezifisch?

Sie beeinflussen, darüber scheint Konsens zu herrschen, die Richtung unseres Verhaltens. Bestimmte Verhaltensweisen werden durch positive Emotionen verstärkt und durch negative gehemmt. Und noch ein interessanter Aspekt, wozu Emotionen dienen: nämlich der Kommunikation zwischen Individuen. Wir bekommen ein „Gefühl“ füreinander und erkennen, in welchem Zustand sich jemand befindet und können leichter in Resonanz zueinander gehen.

Ich sei lesbar wie ein Buch, wird mir immer wieder gesagt. Mein Gesicht ist quasi das Gegenteil von einem Pokerface.

Sympathie ist nicht gleich Empathie

Platon, René Descartes, Immanuel Kant und einige mehr – sie alle sahen in Emotionen etwas Hinderliches. „Platon verglich die Leidenschaften mit wilden Pferden, die vom Verstand gezügelt werden müssen. (…) Die Stoiker hielten Emotionen (…) für fehlgeleitete Urteile in einer nicht zu ändernden Welt. Ein Ziel der Stoa – ebenso wie des Buddhismus – war daher die Leidenschaftslosigkeit (griech. apatheia), die Befreiung von Emotionen und Anhaftungen, um das menschliche Unglück zu minimieren“ 3
 
Ich bin geprägt durch dieses Bild, das Vernunft höher wertet als Gefühl. Und gleichzeitig spüre ich, dass in eben diesem Gefühl so viel kraftvolle Kreativität steckt: Leidenschaft, Hingabe, Herzlichkeit… all das weckt das Potential meines Denkens, ist Basis für neue Ideen. 

Friedrich Nietzsche sah Rationalität und Emotionalität nicht mehr als Gegensätze, sondern komplementär. Daniel Goleman prägte den Begriff der emotionalen Intelligenz.5&6

Doch was ist das richtige Maß? Wieviel Raum geben wir unseren Emotionen beispielsweise im wirtschaftlichen Kontext? Emotionen zu zeigen ist dort meiner Erfahrung nach solange gut und richtig, so lange wir sie nutzbringend einsetzen können (Stichwort: Neuromarketing) und so lange sie nicht stören…

Gefühle sind nicht immer schön und kompatibel. Sie wirken nicht immer sofort konstruktiv, geschweige denn produktiv. Ich glaube aber, dass wenn wir uns selber in unserer ganzen Bandbreite erkennen und akzeptieren, dass wir dann Zugang erlangen zu dem vollen Potential, das in uns schlummert. Ist es das, was Frederic Laloux mit dem Aspekt der „Ganzheit“ in Reinventing Organizations7 meinte? Ich erlebe zudem, dass wir durch die Selbsterkenntnis und -akzeptanz eine tiefere Basis für ein Miteinander von uns Menschen finden. Das geht über Sympathie hinaus. Wir schenken uns die Möglichkeit, uns empathisch wahrzunehmen – und mitzufühlen. 

Steht dies im Widerspruch zu Professionalität?

Es erfordert Zeit und Raum, sich mit all den Emotionen begegnen zu können. Und eine Bereitschaft, sich auf diesen inneren, manchmal hochwallenden Fundus einzulassen. Google hat ein Programm entwickelt, das Achtsamkeit und das Bewusstmachen von Sinneseindrücken und Gefühlen in den professionellen Fokus bringt. „Search inside yourself“ hilft, so das Versprechen, eine Basis zu schaffen für mehr (emphatische) Wirksamkeit von jedem Einzelnen und als Team.8

Zu seinen Emotionen zu stehen und sich nicht nur in seiner professionellen, „glatten“ Funktion zu zeigen, erfordert Mut. Und gleichzeitig, das erfahre ich immer mehr, hält es ein riesen Geschenk für uns parat: Wir als die wundersamen, kantig-schönen Individuen, die wir sind – bereit, aufrichtig einander zu begegnen.

Also: Was fühlst Du?


„I don’t go by the rule book…
I lead from the heart, not the head.“
Prinzessin Diana


Quellen & weitere Links:


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Der Bauch

Was ich höre, ist leise
Ein Gefühl nur, so weise
Doch schwer zu erkennen,
Die Wörter verbrennen
Auf dem Wege zum Licht,
Die Erkenntnis kommt nicht.
Verstandes Härte,
Falsche Fährte… 

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