10.12.2019

Stille(r) Post

„Es gibt keine Stille.“

So begann die gestrige Philosopherei. Doch worüber reden wir dann, wenn wir von Stille sprechen?

Es mag der Zwischenraum sein, das, was nicht ist im Gegensatz zu dem, was ist. Ein Krug besteht aus seinem Rand aus Keramik und aus dem Hohlraum dazwischen. Doch wir erkennen scheinbar nur den Wert des Materials, den Wert dessen, was wir sehen und anfassen können, was geschaffen wurde und was wir schaffen, die volle Agenda, die sinnvoll gefüllte Zeit, das laut Präsentierte, das Extrovertierte.

In einem Experiment, von dem ich kürzlich in der ZEIT las („Leiser, bitte!“), hörten die Testpersonen, wie zwei Menschen miteinander telefonierten. Sie konnten sie dabei nicht sehen. Anschließend an das Gespräch bewerteten die Zuhörer die Telefonierenden: Derjenige, der mehr redete, wurde mehrheitlich als intelligenter, sympathischer und besser aussehend wahrgenommen. Warum ist das so? Warum fällt es uns so schwer, das Leisere, Zurückgenommene, das Introvertierte als gleichwertig anzuerkennen?

„Der Teamgedanke ist ein Fetisch, ein positives Tabu, das kaum infrage gestellt wird.“ (1)

Unsere heutige Arbeitswelt macht es den Stilleren schwer. Es gilt sich im Großraumbüro zu konzentrieren (der Verkauf der Noise-Cancelling-Kopfhörer steigt jährlich um 14% (1)), es gilt sich und seine Ideen zu präsentieren, in Gruppen zu brainstormen, sich abzustimmen, und all das in immer schnellerer Taktung, um den Marktgegebenheiten stets einen Schritt voraus zu sein. Wenn ich dann zu Hause bin, surfe ich im Netz, lese die Latest News von meinen Freunden auf der Welt, streame Serien und bin überall, nur nicht in Ruhe bei mir. Atemlos durch den Tag.

Ich glaube, dass dieses Szenario noch nicht einmal übertrieben ist. Warum fällt es uns so schwer, zur Ruhe zu kommen? Haben wir Angst davor, dass etwas in dieser Stille passiert – oder dass gerade nichts passiert? Ist Stille wie Sterben? Im Film wird dramaturgisch gerne die Stille gewählt, das Langgezogene, das Spannungssteigernde, in das plötzlich das Messer sticht! In der Stille ist Raum für Erwartung, für Potential, für Erkenntnis… In der Stille hörst Du Dich selbst.

Meine Geschäftsidee entstand in der Abgeschiedenheit im Wald, als ich drei Tage und Nächte allein dort verbrachte. Da war plötzlich Raum für die Erinnerung an Dinge, die mir wichtig sind. Ich weiß noch, wie reich ich diese Zeit empfand, wie voll trotz der Abwesenheit äußerer Impulse.

Ein Plädoyer für die Stille

Brauchen wir andere Rahmenbedingungen im Arbeitsleben und in unserem privaten Sein, um (wieder) zu uns finden zu können? Wer ist dafür verantwortlich? Und ist unser Straucheln ein Zeichen unserer Zeit? Womöglich nicht… denn schon die antiken Stoiker entwarfen mit ihrer Philosophie einen Gegenentwurf zu ihren hysterischen Zeitgenossen. Es scheint ein universelles Straucheln zu sein, ein stetes Ringen um die richtige Balance. Was uns dabei helfen mag, ist die Perspektive, Teil eines größeren Ganzen zu sein. „Ich werde geatmet“, so ein Gast des gestrigen Abends. Wenn ich den Widerstand aufgebe und den Lärm um mich herum und in mir akzeptiere, wenn ich nicht daran festhalte und mich nicht zu sehr damit identifizieren will – vielleicht entsteht sie dann: die Stille in mir.

In diesem Stück von Schumann sind es die Pausen – das, was nicht ist –, die im Zusammenspiel mit den Noten das Kunstwerk perfekt machen.

Danke, Ihr Lieben, für diesen Gedanken bewegenden Abend.


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„Die größte Offenbarung ist die Stille.“
Laotse