14.03.2018

In vino veritas?

Wie viel Wein muss getrunken werden, um Tacheles zu reden?
Die Philosopherei am letzten Montag: Ein Experiment in sechs Akten.

1. Flasche

Es war eine wunderbar fröhliche Runde an diesem Montag. Doch die Fragen, die wir uns stellten, hatten es in sich. Stellen wir manchmal Fragen, deren Antworten wir gar nicht hören wollen? Wann tut Wahrheit weh? Und für wen äußern wir sie – für uns selbst, um uns besser zu fühlen, oder für den anderen? Sophia Loren sagte mal „Im Leben muss man dauernd zwischen Aufrichtigkeit und Höflichkeit wählen.“

Aufrichtigkeit – ich stehe zu meinen Werten und Idealen, zu „meiner“ Wahrheit. Aufrichtig bin ich wohl eher dann, wenn ich mich unabhängig fühle vom anderen und darauf vertrauen kann, dass mir nichts passiert nach Äußerung meiner Sicht. Doch ist meine Sicht überhaupt wahr?

2. Flasche

Gibt es die eine Wahrheit? Der Tenor am Montag war: nein. Man nehme zwei Geschwister, die in derselben Familie dieselben Situationen erlebt haben, und doch werden sie die Erinnerungen unterschiedlich erzählen. Ist die eine Perspektive wahrer als die andere?

Jeder hat seinen Standpunkt, von dem er oder sie auf die Welt blickt. Unsere Herausforderung besingt Depeche Mode mit „try walking in my shoes“. Wie angenehm ist es da, wenn man sich mit Menschen umgibt, die eine ähnliche Wahrnehmung haben. Sich nicht erklären zu müssen, sich blind zu verstehen, weil es die gemeinsame Wahrheit ist. Eine Filterblase?

3. Flasche

Rüdiger Safranski schreibt in seinem Buch „Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?“: „Man will etwas erkennen, was einem hilft, sich in der Wirklichkeit zu orientieren, und freie Bewegung mit einem Minimum an Gefahr ermöglicht. Wer nach der Wahrheit fragt, will sich mit einem schwierigen Lebensgelände vertraut machen. Die Wahrheitssuche ist durchaus darauf gefaßt, auf Abgründe zu stoßen. Wenn man die Abgründe kennt, ist die Gefahr, in sie hineinzustürzen, geringer.“

Die Wahrheit scheint mich frei zu machen. Ich suche Halt und Orientierung und fühle mich stark genug für die „Abgründe“. Für Differenzen und andere Weltsichten. Ich bin bereit für Streit und frage nach Öffnung der …

4. Flasche

Was ist überhaupt objektiv richtig? Wissenschaftliche Erkenntnisse haben sich über die Jahrhunderte immer wieder verändert und weiterentwickelt. Sind heutige Fakten auch morgen wahr? Trump wiederholt seine „fake news“ mit Penetranz. Mancher mag sie dadurch als wahr wahrnehmen. Überzeugungen als Tod der Wahrheit?!

„Wer lügt, hat die Wahrheit immerhin gedacht.“, sagte der Kabarettist und Autor Oliver Hassencamp. Darauf erst einmal die …

5. Flasche

Es muss ja gar nicht die Lüge sein. Welche (authentische) Rollen spielen wir im Laufe eines Tages? Bei der Philosopherei ist meine Rolle zu Beginn die der Nervösen. Das ist so gelernt und vertraut. Doch bin ich das wirklich noch?

Wenn meine Wahrheit abhängig ist von meinem Standpunkt, dann ist es doch durchaus angebracht, diesen mal zu wechseln. Wie beim „Club der toten Dichter“, als die Schüler auf die Tische steigen… Haben wir den Mut, unsere Perspektive zu hinterfragen? Das erfordert, dass wir wissen, was unsere Perspektive ist. Welche Rollen wollen wir übernehmen? Welche nicht? Haben wir deswegen so viele Burnouts, weil Menschen im Beruf nicht ihre Wahrheit leben können?

6. Flasche

Sigmund Freud sagte: „Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol.“
Wohl wahr! Hicks


Ein RIESEN Dankeschön an 11 wunderbare Gäste, an Anette Walz für das gemeinsame Moderieren, an Susanne Irmer, die dieses Mal das köstliche selbst gebackene Brot beigesteuert hat, an Dagmar für die köstlichen Anti-Pasti, und natürlich an Wedevini, den Weinhändler meines Vertrauens 🙂