19.01.2021

Kontroverse im virtuellen Format?!

Oder: Wie Emotion und Zoff sich ihren Platz erkämpfen müssen…

Demokratie lebt von unterschiedlichen Positionen, die sich im Diskurs, manchmal auch im Streit an- und miteinander reiben. Das Ziel: die beste Lösung zu finden. 

Nicht nur unsere Regierung braucht das, sondern jede und jeder von uns, in der Arbeit und im Leben. Immer, wenn es darum geht, sich weiterentwickeln zu wollen, den Status Quo zu hinterfragen und sich auf die Suche zu begeben danach, wie es anders oder besser geht. 

Der Knackpunkt: Kontroverse1 erfordert Selbstbewusstsein und den Mut und die Bereitschaft, sich auf andere Sichtweisen einzulassen; vielleicht auch einen sicheren Rahmen dafür. Das an sich ist schon schwer, im virtuellen Raum wird es ungleich schwerer. Dort, wo derzeit für die meisten von uns das ganze Berufsleben stattfindet.

Virtual Reality

Meiner Erfahrung nach sind virtuelle Formate strukturierter und geordneter als Präsenzformate; es wird mehr moderiert und in eine handhabbare (Platt-)Form gegossen. So werden Teilhabe und gemeinsame Gestaltung (des Brainstormings, der Strategie, …) ermöglicht. 

Diese Form ist notwendig und wirkt gleichzeitig einengend. Schlimmstenfalls wird es debattenmäßig à la „Hart, aber fair“, wo jede/r nur die eigenen Statements abfeuert, ohne sich aufeinander zu beziehen. Weiterentwicklung und ein wirkliches Miteinander-Befassen finden nicht statt.

Davon ausgehend, dass wir uns auch in den nächsten Monaten nur digital und nicht persönlich begegnen werden, sollten wir uns gemeinsam überlegen, wie wir noch bessere Gespräche im virtuellen Raum schaffen.

Was macht ein Gespräch wirklich gut?

„Dialog bedeutet ‚Wir denken zusammen.‘ Das Wort Dialog stammt aus dem Griechischen dia (‚durch‘) und logos (‚Wort‘ und ‚Sinn‘). In der ältesten Bedeutung hieß logos auch ’sich versammeln‘. Ein Dialog ist also frei übersetzt ein Bedeutungsfluss unter Versammelten.“2 Es geht dabei nicht nur um die eigene Position, sondern um das gemeinsame Lernen und Ergründen. Ein Ergründen, das mehr beansprucht als reines Faktenwissen. Im Dialog wirken auch unsere Emotionen, unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse, letztlich alles, was uns als Mensch ausmacht. Damit ermöglicht er tiefere Erkenntnis, Inspiration und Entwicklung.

Indem wir uns trauen, uns wirklich zu zeigen und zu begegnen, schaffen wir zudem mehr Verständnis füreinander, für andere Positionen, und damit die Chance auf Verbundenheit.

Diese Art der aufrichtigen Auseinandersetzung erfordert, wie eingangs geschrieben, Mut sich zu zeigen. Und Raum für Spontaneität. Sowie Vertrauen und ein Gefühl von Sicherheit.

Safety Space für Kontroverse

Für den Mut kann nur jede und jeder selbst sorgen.

Den Raum für Spontaneität können wir als Gesprächsmoderator*innen und -teilnehmer*innen kreieren, zum Beispiel, in dem wir Stille aushalten lernen. Stillemomente im virtuellen Raum sind unangenehm („Ohgottohgott, funktioniert die Technik nicht oder schweigen die wirklich alle gerade?!?“), aber sie sind wichtig. Stille ist der Zwischenraum, der mit Neuem – vielleicht einer ganz neuen Perspektive – gefüllt werden darf.

Spontaneität mag auch bei kleineren Gruppengrößen entstehen. Meiner Erfahrung nach wagen wir es im Gespräch mit circa bis zu fünf Personen, uns spontan und unaufgefordert zu Wort zu melden.

Generell einen vertrauensvollen Rahmen zu schaffen, in dem sich Menschen mit ihren eigenen Perspektiven trauen zu Wort zu melden und sich zu zeigen – das ist die große Kunst. Meines Erachtens ist dies eine Frage der Teamkultur, aber auch, wieviel ich von mir als Moderatorin reingebe. Ich ermutige mit meiner eigenen Offenheit zur Nachahmung.

Manchmal mögen auch Gesprächsregeln helfen (z.B. aus der Ich-Perspektive zu sprechen; oder wie ein „weißes Blatt“ ins Gespräch zu gehen und ohne vorgefertigte Meinung sich überraschen zu lassen). Sie schenken uns die Erlaubnis, diese auch auszureizen.

Kontroverse kann ich als Moderatorin durch Fragen herauskitzeln. Welche Gegenpositionen gibt es? Was wurde noch nicht gesagt? Tools zur Abfrage von Positionen und Meinungen (wie z.B. Voxr, Mentimeter) unterstützen.

Und wenn’s knallt oder wenn irritierende und wunderbar andersartige Meinungen auf den virtuellen Tisch kommen: bitte feiern und dankbar sein. Denn diese Rarität zeigt ein Stück wahres Leben!

Ach, und dass die Technik einwandfrei funktionieren sollte, versteht sich von selbst. Atemtechniken helfen beim Ruhigbleiben, wenn wieder etwas nicht klappt.

Ich bin gespannt. Was sind Eure Ideen und Meinungen?

Wie schafft Ihr Kontroverse im virtuellen Raum?

Wir denken zusammen – im Dialog. Ergänzt gerne im Kommentar, wie Eure Perspektiven zu diesem Thema sind, und lasst uns gemeinsam wachsen.

Auf wunderbare, reibungsvolle Gespräche!
Herzliche Grüße.
Anna


Quellen:

  • 1 Kontroverse, Definition laut Duden: „Meinungsverschiedenheit, Auseinandersetzung (um eine Sachfrage)“ https://www.duden.de/rechtschreibung/Kontroverse
  • 2 Blog-Beitrag von Mag.a Annemarie Schallhart: https://www.schallhart.com/debatte-diskussion-und-dialog/