Solidarität vs. Konkurrenz
„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.“
Wir waren 13 Frauen, die sich gestern zur Philosopherei im Atelier Glückskind um einen schön gedeckten Tisch versammelten, um auf Einladung der Koordinierungsstelle Frauen & Wirtschaft der Stadt und Region Celle zu diskutieren: Wem oder was zeigen wir uns solidarisch gegenüber? Und wann fahren wir die Ellenbogen aus?
Team als Nonplusultra?
Interdisziplinäre Teams im Design Thinking, agile Projektteams, Schwarmintelligenz. Wir bündeln die Vielen, um der Komplexität da draußen besser begegnen zu können. Aber…
Abweichler sind nicht so gern gesehen. Unsere preußische Prägung (es geht doch nichts über gute Regeln und Normen, Standards und Routinen!) lässt Neu- und Querdenker als Störenfriede werten. Seid ehrlich, geht Euch das nicht manchmal auch so? Unser Herdentrieb mag dazu führen, dass wir der Mehrheit in Richtung A folgen, selbst dann wenn uns persönlich B sinnvoller erscheint. In einem Artikel über Frauen-Freundschaften las ich vom „Diktat der Harmonie“. Wir sind Leidensgenossinnen; laut der Autorin wird jedes Abweichen – z.B. wenn eine plötzlich erfolgreich oder glücklich ist – als Verrat gewertet. Halten wir fest:
Im gesellschaftlichen wie auch im Business-Kontext, aber auch persönlich scheinen wir uns durch Angleichung an unser „Team“ in unserer individuellen Stärke zu beschneiden. Dieser Punkt ist wichtig, auch in der Diskussion über Solidarität. Doch dazu später mehr.
Wer ist unser „Team“?
Wem fühlen wir uns heute eigentlich noch verbunden? Wissenschaftler wie Joshua Greene, Verhaltenspsychologe und Moralphilosoph, zeigen auf, dass wir eine genetische Veranlagung dafür zu haben scheinen, für unseresgleichen – unseren Stamm – zu sorgen (Nachbarschaftshilfe als Mehrwert für einen jeden im Stamm) und zugleich konkurrierende Stämme zu fürchten und zu bekämpfen.
Heute leben wir global vernetzt. Und die oben genannten Teams formieren sich in der Regel je nach Anlass und Thema ständig neu. Ist in dieser Zeit der (fast) Grenzenlosigkeit und ständigen Neuformation für so etwas Altmodisches wie Solidarität noch Platz?
Was ist Solidarität überhaupt?
Ich muss nicht alles gut finden, was Du tust und kann mich Dir dennoch solidarisch gegenüber zeigen, wenn wir ein gemeinsames Ziel haben: z.B. unsere Sicherheit, unser beider Ansehen oder eben der Erfolg des gemeinsamen Projekts. Solidarisch sein ist Mitmenschlichkeit, in Haltung und Tat. Ich setze mich ein für jemanden und für die gemeinsame Sache. Ich kämpfe. Und dies ist nicht räumlich oder kulturell begrenzt, sondern kann sich über die ganze Welt erstrecken.
Ist solidarisches Verhalten eigentlich eher typisch weiblich? Und kann ich mich, selbst wenn ich um meine Existenz bange (z.B. als Selbständige) mit anderen „Marktbegleitern“ (der Konkurrenz) solidarisch zeigen?
Vertrauen in die eigene Stärke und das Leben, das war einer der gestern genannten Schlüssel zu einem guten Miteinander. Konkurrenz mag manch einen von uns verunsichern und manchen anspornen. Was wäre, wenn aus Konkurrenten Kooperierende würden? Ein Zusammenschluss von Einzelkämpfer*innen, die – jede/jeder mit individueller Stärke und Fähigkeit – sich ergänzen, sich gegenseitig vertreten sowie inspirieren und unterstützen?
Großzügigkeit, ein weiterer Aspekt der solidarischen Haltung: Wir stärken uns gegenseitig, schenken Wertschätzung und Anerkennung. Wir gehen aufeinander zu, suchen das offene Gespräch und den gemeinsamen Nenner.
Und nicht zuletzt: Egoismus. Gemeinsam geht es uns gut (und somit mir auch). Sich solidarisch zu zeigen, bedeutet nicht Selbstaufgabe, sondern Bewusstmachung des eigenen Selbstwertes, der Werte, für die ich stehe, um mich dann dafür einsetzen zu können.
Wir ziehen Hüte auf und lachen dabei.
Mit (Selbst-)Vertrauen, Großzügigkeit sowie dem Blick auf die eigenen Stärken und Bedürfnisse trotzen wir der Anpassungsfalle. Um es wie die gestrige Runde zu sagen: Wer Hut tragen möchte, trägt Hut. Basta! Eine Solidargemeinschaft, eine Freundschaft, ein Team sollte das Besondere eines jeden einzelnen aushalten und wertschätzen können. Als die wunderschönen, starken Individuen, die wir sind, gewinnen wir letztendlich alle.
Denn: „Nur dort, wo jeder sein Bestes tun kann, kommt am Ende für alle etwas Gutes heraus.“
Interessante Artikel und Bücher:
- Deutschlandfunk Kultur, Artikel: „Die Raffgier der Reichen – Wie Egoismus die Solidarität verdrängt hat.“
- Süddeutsche Zeitung, Artikel: „Ziemlich beste Freundinnen? Warum kriegen Frauen es nicht hin, einander zu unterstützen, zusammenzuhalten, Seilschaften zu bilden? Ein Plädoyer gegen die Stutenbissigkeit.“
- Buch-Tipp: „Immer wenn ich den Sinn des Lebens gefunden habe, ist er schon wieder woanders“ von Daniel Klein (hieraus ist die Information über Joshua Greene)